Alexander von Zemlinsky (1871 - 1942)

2. Streichquartett op.15, Fassung für Streichorchester von Simeon Pironkoff jr.

Aufführungen:
21. Januar 2006, Matthäus-Kirche am Kulturforum
22. Januar 2006, Nikodemus-Kirche, Neukölln


  Alexander von Zemlinsky

* 14. Oktober 1871 in Wien; † 15. März 1942 in Larchmont, New York
war ein österreichischer Komponist und Dirigent.

Zemlinsky wuchs als Sohn einer jüdisch-muslimisch-katholischen Familie in der jüdisch geprägten Leopoldstadt von Wien auf. Seine musikalische Begabung trat früh zutage. Mit zwölf Jahren wurde er im Konservatorium angemeldet. Hier studierte er bis 1892 und schrieb seine ersten Werke.

Sein Vorbild und Förderer war Johannes Brahms, sein Schüler war Arnold Schönberg, der nach der Heirat seiner Schwester Mathilde sein Schwager wurde. Er war Musiklehrer von Alma Schindler, der späteren Alma Mahler-Werfel, und war mit deren späterem Mann, dem Komponisten Gustav Mahler befreundet.

Die weitreichende musikalische Entwicklung Zemlinskys kann man gut an seinen Streichquartetten aufzeigen: Das erste ist in der Klangsprache und kompositionstechnisch stark von Brahms beeinflusst, das letzte ist nah beim expressionistischen Schönberg (im Gegensatz zum späteren zwölftönigen Schönberg-Stil).

Von 1911 bis 1927 war Zemlinsky in Prag als musikalischer Direktor des Deutschen Landestheaters tätig. Weitere Stationen in seinem Leben waren die Kroll-Oper in Berlin und noch einmal Wien, bevor er 1938 in die USA emigrierte.

Besonders Alban Berg war ein großer Bewunderer des Komponisten Zemlinsky, vom Dirigenten zeigten sich Igor Strawinsky und Kurt Weill beeindruckt. Wohl kaum ein österreichischer Komponist außer dem ungleich populäreren Gustav Mahler hat es so trefflich verstanden, den Wiener Jugendstil in schillernden spätromantisch-impressionistischen Klangeffekten auszudrücken.

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2. Streichquartett op.15
Fassung für Streichorchester von Simeon Pironkoff jr.

Präludium. Poco adagio
Man muss nicht lange suchen. Bereits im 8. Takt des "Präludiums" (benannt wie Nr. 1 der Drei Orchesterstücke von Berg – der genau 200 Jahre nach Bach geboren war) taucht b-a-c-h erstmals auf, während schon der 1. Takt die Initialen a-b-a (von Alban) birgt, freilich in transponierter Form als
g-as-g, später als cis-d-cis oder e-f-e. Gänzlich ohne Ausdruck ("senza espressione") und äußerst leise sollen diese fahlen "Rufe" nach dem verstorbenen Freund klingen. Ab dem 6. Takt identifiziert sich der Rufer: Alexander. Seine Initialen umspannen zweimal den Tonraum einer Quarte: a-e-a-d-e. Zemlinsky füllt diesen Tonraum chromatisch auf, nach oben und nach unten. Und er strukturiert seinen "Namen" rhythmisch: A--le-xan----der----.

Burleske. Vivace
Die "Burleske" ist hier ähnlich fehl am Platz wie in Mahlers neunter Sinfonie. Ist sie dort eine grimmige Karikatur darauf, wohin es mit der Musik gegangen ist, so verpackt Zemlinsky im Quartett einen rasenden Walzer in den 2/4-Takt. Er bietet mehrere Spielarten der Streichinstrumente auf: pizzicato, arco, col legno (mit dem Holz des Bogens auf die Saiten zu schlagen). Ein Motiv stellt sich dem Walzer "forte" und "marcato" in den Weg. Das Motiv besteht aus den Tönen e-es-c-h-g. Sie kommen alle als Buchstaben im Namen Schönberg vor. Und gelegentlich scheint ein Berliner Schlager durchs harmonische Dickicht: "Puppchen, du bist mein Augenstern" (1929). Von "Alban" zu "albern"?

Adagietto. Adagio
Ein lyrischer Mittelteil bildet die Brücke zum dritten Satz: "Adagietto". Diese Satzbezeichnung ist seit Mahlers fünfter Sinfonie besetzt mit einem der innigsten sinfonischen Liebeslieder der Musikgeschichte. Auch Zemlinsky hatte Grund, Alma zu besingen. Er tut es im schmerzvollen Charakter des großes Adagios aus Mahlers zehnter Sinfonie. Zum Zerreißen gespannte Intervall-Sprünge liegen dicht beim Klagegestus der kleinen Halbtonschritte, auch musikalisch-technisch: Die kleine Sekunde in weiter Lage wird zur großen Septime und zur kleinen None.

Intermezzo. Allegretto – Sehr belebt (Animato)
Das "Intermezzo" erinnert an einen böhmisch-österreichischen Volkstanz. Motivbruchstücke aus den anderen Sätzen wehen vorüber, "leggiero", schlendernd, fast übermütig, aber auch "espressivo". Doch nicht nur dies: Zemlinsky zitiert mehrfach eine charakteristische Intervallfolge aus Schönbergs genialem Streichsextett "Verklärte Nacht". Ein zweiter Teil, "sehr belebt", knüpft an die "Burleske" an. Zemlinsky reduziert die Faktur auf puren Rhythmus, nimmt scharfe Punktierungen hinzu.

Thema mit Variationen (Barcarole). Sehr langsam (Poco adagio)
Noch einmal beruhigt sich das Geschehen: für ein "Gondellied". Eine Cello-Kantilene leitet die "Barcarole" ein. Der Satz variiert dreimal dieses elegische Thema, in der ersten Variation tragen die übrigen Stimmen die 1. Violine, in der zweiten teilt man sich die Grundidee in rhythmischen Umspielungen. In der dritten Variation macht Zemlinsky einen Kunstgriff, der vorausweist auf den letzten Satz: Er lässt das Thema von den beiden Violinen in fugierter Engführung spielen. Für die einzige Unisono-Stelle im ganzen Satz (Takt 34) vereint man sich zu sanftem Wiegen. Die Harmonien schillern zwischen b-Moll/B-Dur und F-Dur/d-Moll. Einfach – raffiniert.

Finale – Doppelfuge. Allegro molto, energico
Wuchtig eröffnet die 2. Violine die Doppelfuge mit einem Thema, das direkt aus dem kleinschrittigen Motiv d-c-cis des ersten Satzes gewonnen ist. In kleinen Sekunden umspielt es sich selbst. Das Ornament wird Substanz, ganz im Sinne des Jugendstils. Auch b-a-c-h kehrt wieder. Und blitzartige Gesten erinnern an Beethovens bizarre Große Fuge. "Dasselbe Tempo, doch viel ruhiger", beginnt das 2. Thema mit einer merkwürdig unentschiedenen Tempobezeichnung. "Grazioso" soll es klingen, was wegen der ständigen Oktavierungen schnell nach "kratzioso" kippen kann. Dazu wuselt emsig die Triolenbegleitung, die aus den Tönen des 1. Fugenthemas besteht. Die punktierten Rhythmen sind wieder da, was dem Thema etwas Sprunghaftes verleiht. Es besteht aus a-h-c-e-es[=d(is)]-a(is), nimmt also die Tonbuchstaben von Alma Schindler auf. Homophones Hämmern verschließt Zemlinskys letzte Fuge. Das Bauwerk steht, kein spärliches neben denen der "großen" Kollegen.

Steffen Georgi

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